Die Kunst der Welt sichtbar machen!
Das Sammeln von Gegenwartskunst erforderte in Zeiten des Eisernen Vorhangs stets auch Diplomatie. Zumindest dann, wenn es sich nicht auf die westliche Hemisphäre beschränken wollte.
So sorgte die Sammlung Ludwig für Aufsehen, als sie 1979 in der Neuen Galerie Aachen die staatsnahen DDR-Künstler Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig und Werner Tübke präsentierte und dafür drei Bilder des im volkseigenen Kunstkombinat unliebsamen A. R. Penck abhängte, der ein Jahr später aus der DDR ausgebürgert wurde. Eine Geste des guten Willens in Zeiten der Ost-West-Annäherung, die für viel Kritik sorgte – nicht zuletzt von A. R. Penck selbst - und die, last but not least, auch einen wirtschaftlichen Hintergrund hatte. Peter Ludwig ging es auch darum, mit der Produktion des Schokoladenimperiums seiner Familie in der DDR Fuß zu fassen. Ein durchaus erfolgreiches Unterfangen
Das „sowjetische Versorgungssystem“ und der westliche Kunstmarkt
Derlei erfährt man in einer neuen, im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König erschienenen Publikation, in der die Kunsthistorikerin Regina Wyrwoll in ausführlichen Gesprächen mit Weggefährten und Zeitzeugen „Einblicke in die internationalen Aktivitäten des Sammlerpaares“ gewährt. Denn nicht nur im anderen Teil Deutschlands, sondern unter anderem auch in Österreich, Ungarn, Rumänien, in der Sowjetunion, in Kuba und China waren die Ludwigs äußerst umtriebig.
Seit den frühen fünfziger Jahren erstreckte sich ihre Sammelleidenschaft von antiken und mittelalterlichen Skulpturen über die Malerei der Moderne bis hin zur zeitgenössischen Avantgarde – wobei Irene Ludwig bei der Gegenwartskunst immer ein wenig auf die Bremse trat. Ihre Vorliebe galt dem Mittelalter und der Antike, Meißener Porzellan und Keramiken, wie man einem Gespräch mit Wolfgang Becker, dem ehemaligen Direktor des Ludwig Forums für internationale Kunst in Aachen, entnehmen kann.
Am Beispiel der Sowjetunion schildert Becker sehr anschaulich, wie damals die Systeme aufeinanderprallten, das „sowjetische Versorgungssystem“ und der westliche Kunstmarkt: „Bei den Atelierbesuchen reagierten die Künstler hilflos, wenn Peter Ludwig sie fragte: ,Was kostet denn so ein Werk?‘“
Fast vier Jahre verhandelte der Sammler mit Moskau
In den Zeiten des Kalten Krieges war das Sammeln von Kunst aus den Ostblockstaaten immer auch Kulturpolitik. Sich für die Werke von Künstlern in Ländern mit anderen politischen Systemen zu interessieren, bedeutete für Peter Ludwig auch, sich für diese Systeme zu interessieren, sie zu studieren und zu respektieren.
In der Bundesrepublik stießen solche Bemühungen nicht immer auf Verständnis oder Begeisterung. Über die 1982er Ausstellung „Aspekte sowjetischer Kunst“ in der Neuen Galerie Aachen und im Kölnischen Stadtmuseum hieß es u.a. im Express: „Fast vier Jahre verhandelte der Sammler mit Moskau, kaufte Werke, die eigentlich sowjetischen Museen vorbehalten waren. Allein das ist eine Sensation ...
Doch die entsetzten Kritiker fast einstimmig: ,Langweilig!‘“
Alte chinesische Kunst gehörte von Anfang an zu ihrer Sammlung
1995, ein Jahr vor Peter Ludwigs Tod, unternahm das Sammlerpaar seine erste gemeinsame Chinareise. Alte chinesische Kunst gehörte von Anfang an zu ihrer Sammlung. Bereits Irene Ludwigs Eltern besaßen eine Sammlung von antiken chinesischen Kunstwerken. Im November 1996 eröffnete das Ludwig Museum für Internationale Kunst als eigenständige Abteilung des Chinesischen Museums in Peking. Peter Ludwig hat das nicht mehr erlebt. Doch auch nach seinem Tod und dem Fall des Eisernen Vorhangs lebte seine Idee fort, mit dem Austausch von Kunst und Kultur Grenzen zu überwinden und Verständigung zu fördern.
Peter Ludwig war „eine der abenteuerlichsten Figuren“ in der bundesrepublikanischen Sammlergeschichte
Seine Kunstsammlungen sind heute auf neunzehn Museen in fünf Ländern verteilt. Irene Ludwig rief die Peter und Irene Ludwig Stiftung ins Leben, die auch die nun vorliegende Interviewsammlung publiziert hat. Aus den mit aufschlussreichem Bildmaterial illustrierten Protokollen erfährt man viel über eine Zeit, in der die Kunst aus elitären Sphären in die diskussionsfreudige Öffentlichkeit gerückt wurde, in der sich der Kunstmarkt neu formierte und die Neugierde groß war. Peter Ludwig war sicher „eine der abenteuerlichsten Figuren“ in der bundesrepublikanischen Sammlergeschichte, wie Wolfgang Becker an einer Stelle bemerkt, jemand, der sich nicht davor scheute, „in weltpolitische Debatten ein-zugreifen“, und von der Idee getrieben war, Weltkunst sichtbar zu machen.
Carla Cugini und Benjamin Dodenhoff (Hrsg.) „Irene und Peter Ludwig. Einblicke in die internationalen Aktivitäten des Sammlerpaares. Regina Wyrwoll im Gespräch mit Zeitzeugen“, Verlag der Buchhandlung Walter und Franz König, 304 Seiten, 25,- Euro