„Wir sind verpflichtet, weiterzukämpfen“
Die Aktivistin über die Situation von Künstlerinnen und Künstlern in russischen Gefängnissen, die Gemeinsamkeiten zwischen Stalin und Putin und warum es keine Option ist, den Widerstand aufzugeben.
Maria Aljochina, wie schätzen Sie die Folgen von Donald Trumps Wiederwahl ein?
Es ist vorhersehbar, dass Trump die Ukraine zu sogenannten „Friedensverhandlungen“ zwingen wird. Käme es in der Folge zu einem Diktatfrieden, würde Putin mehrere Jahre Zeit gewinnen, um nachzurüsten und einen Angriff auf ein weiteres Land vorzubereiten. Es könnte jeden Staat treffen, der eine Grenze zu Russland unterhält: etwa Polen, Finnland oder die baltischen Staaten. Davon abgesehen stellt sich die Frage, was Trumps Wiederwahl für Europa politisch bedeutet. Wir verzeichnen einen wachsenden Zuspruch für rechtsextreme Führer, Parteien und Bewegungen in vielen Ländern, sei es in Polen, Italien, Österreich oder Deutschland. Die Liste ließe sich fortsetzen. Es ist eine große Herausforderung für uns alle, dass Trumps Wahlerfolg autoritäre Bewegungen in Europa weiter zu stärken droht.
Wie geht es Künstlerinnen und Künstlern aktuell in Russland?
Menschen, die bleiben und sich kritisch äußern, darunter auch Künstler und Künstlerinnen, sitzen in Gefängnissen, werden vergiftet und getötet. Dazu reicht es, sich gegen Putin auszusprechen oder den Krieg in der Ukraine als solchen zu bezeichnen. Jene die ins Ausland gehen, können sich retten, verlieren aber alles: ihre Heimat, ihre Familien und Freunde, ihren Job. Diesen Weg gehen völlig unterschiedliche Russen, vom Aktivisten bis zum IT-Spezialisten. Viele der Geflüchteten leben in Berlin. Ich bin Mitglied im Beirat von Artists at Risk (AR), eine Organisation, die bereits Hunderte Künstlerinnen und Künstler retten konnte. Aber es wird immer schwieriger, Russland zu verlassen und Visa für den Westen zu bekommen.
Sie touren mit Konzerten und einer Ausstellung durch die Welt, gerade macht die Schau Station in Deutschland.
Im Zuge der Ausstellung „Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia“ zeigen wir im Münchner Haus der Kunst, wie Russland sich in den vergangenen zehn Jahren von einem autoritären Staat zu einem faschistischen Staat gewandelt hat. Auch wenn die Schau unsere persönliche Sichtweise widerspiegelt, hoffe ich, dass sie den Menschen ein wenig von dem spüren lässt, was wir gefühlt haben. Seit dem Krieg in der Ukraine herrscht eine harte Zensur. Niemand wird dich sofort töten, wenn du den Krieg als Krieg bezeichnest. Aber sobald jemand sich entsprechend äußert, muss sich diese Person darauf einstellen, jeden Tag und zu jeder Zeit verhaftet zu werden und für Jahre ins Gefängnis zu gehen. Es ist eine andere Realität – und ein schweres Trauma. Ich wurde in der Perestrojka-Zeit geboren und bin in den 1990er-Jahren aufgewachsen. Die Russen wollten damals keine Sklaven mehr sein, wollten endlich in Freiheit leben. Aber heutzutage ist es nicht einmal mehr möglich, für diesen Freiheitswunsch zu demonstrieren. Wie in China stehen sämtliche sozialen Medien unter Beobachtung. Das schafft eine Atmosphäre der Angst.
Wie steuern Sie aus dem Exil heraus dagegen?
In Moskau trinken die Menschen Wein und feiern Partys. Man sieht kein Blut. Es ist aber unmöglich, über diese faschistische Besatzung der Ukraine zu sprechen. Unsere Aufgabe als Kollektiv ist es, im Westen darauf aufmerksam zu machen, dass Russlands Regime Menschen brutal tötet, oftmals sogar schon während des Transports ins Gefängnis. Die Betroffenen werden vier bis sechs Wochen lang von einem Gefängnis zum anderen gefahren. Schon bald weiß man überhaupt nicht mehr, wo man sich befindet, und wie viele Gefängnisse man schon hinter sich hat. Die 27-jährige Journalistin Vika Roschtschyna starb kürzlich nach 15 Monaten in russischer Gefangenschaft bei ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in der südrussischen Stadt Taganrog nach Moskau. Ihr Hauptthema war der Krieg in der Ukraine.
Sie haben diese Form der Folter selbst durchgemacht …
Die Spezialwaggons für die Transporte bestehen aus winzigen Zellen ohne Fenster. Sie stammen noch aus der Stalinzeit. Eine Person zu töten, von der niemand weiß, wo sie sich befindet, ist einfach und hat sich in Russland lange bewährt. Was das angeht, gibt es seit Stalin keine Innovation. Das System wird sich nicht ändern, weil Putin stolz auf dieses Erbe der Sowjetunion und auf den Alleinherrscher Josef Stalin ist – den größten Tyrannen des Landes, der unsere Kultur und alle meine Lieblingskünstler getötet hat. Dies sollte allen eine Warnung sein.
Glauben Sie, dass Putin noch aufzuhalten ist?
Russland blickt auf eine sehr schwierige und blutige Geschichte zurück. Putin hat die sowjetische Unterdrückungsmaschinerie wieder aufgebaut. Sie ist korrupt, zynisch und dumm. Um Putin aufzuhalten, müssen die Menschen aufwachen und verstehen, dass dieses Regime allein die Sprache der Gewalt versteht. Die internationale Gemeinschaft sollte ihm die Gas- und Öleinahmen entziehen. Für Deutschland ist es jetzt wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich sehe viele Russen und Russinnen, die ihre Hoffnung verloren haben. Aber wir sind verpflichtet, weiterzukämpfen – auch ohne Hoffnung.
Autorin: Alexandra Wach