Bitte den Rand nicht vergessen!
Wie konnte Köln mitten in der Adenauer-Ära auf die internationale Kunstlandkarte gelangen? Dank der Privatinitiative von Mary Bauermeister, erfährt man gleich am Anfang des labyrinthischen Parcours. Sie funktionierte ihr Atelier in der Lintgasse 28 zur anarchischen Spielwiese für die Fluxus-Bewegung um. Hier traf sich die Urzelle, bevor sie das Label 1962 auf dem ersten offiziellen Fluxus-Festival in Wiesbaden verliehen bekam. Zu den experimentellen Konzerten und Performances kamen Nam June Paik, Christo, Joseph Beuys, Merce Cunnigham und viele andere, angezogen von dem progressiven Profil des WDR, der mit seinem Studio für elektronische Kunst international für Furore sorgte.
Nach einem Konzert im Sendesaal gehörte ein Besuch der Dachgeschosswohnung von Mary Bauermeister zum Pflichttermin jedes ästhetisch aufgeschlossenen Reformers. Auch der ausgebildete Kontrabassist Ben Patterson trat hier auf. Der US-Amerikaner kam in die Domstadt, um bei Stockhausen das elektronische Komponieren zu lernen, rechnete aber nicht damit auf John Cage zu treffen, der ihn zur Zufallsmusik bekehrte. Einige seiner Kompositionen konnte er in Wuppertal in der Galerie Parnass aufführen, allerdings mit wenig Erfolg. 1962 organisierte er mit George Maciunas dann das Wiesbadener Fluxus-Festival, blieb aber ein Außenseiter in der von Weißen dominierten Kunstszene.
Ursula Burghardt auf einem Selbstporträt von 1981. Foto: © Künstler:innenarchiv der Stiftung Kunstfonds, Nachlass Ursula Burghardt
Radikale Gemeinschaftserlebnisse
Ähnlich erging es der Bildhauerin Ursula Burghardt, der zweiten Protagonistin der von Barbara Engelbach kuratierten Ausstellung. Die in Halle an der Saale geborene Tochter jüdischer Eltern, die vor den Nazis nach Südamerika flohen, kam nach Köln mit ihrem Ehemann, dem Komponisten Mauricio Kagel, nachdem sie mit ihren abstrakten Holzskulpturen aufgehört hatte, weil sie ihr zu konventionell erschienen. Sie begann, sich mit den Möglichkeiten von Metall zu beschäftigen und belegte einen Abendlehrgang im Autogenschweißen.
Patterson und Burghardt trafen sich 1960 bei Bauermeister und arbeiteten fortan daran, den klassischen Kunstbegriff durch radikale Gemeinschaftserlebnisse zu erweitern. Was Dada am Anfang des 20. Jahrhunderts vorgemacht hatte, war plötzlich wieder aktuell. Musik stand im Zentrum, etwa wenn Klaviere vor einem aufgebrachten Publikum zerstückelt wurden. Destruktiver Spaß gehörte zum Kölner Fluxus ebenso dazu wie ausgelassene Darbietungen in Privathäusern, die man auf unzähligen Fototapeten in Schwarz-weiß studieren kann. Davor stehen Vitrinen mit Kompositionsskizzen, flankiert von Objekten aus der Zufallswerkstatt von George Brecht, Wolf Vostell oder Daniel Spoerri. Sie wurden 1961 im Haus des Architekten Peter Neufert neben einer Skulptur von Burghardt und einer Schießaktion im Namen von Niki de Saint Phalle gezeigt.
Aufmerksamkeit durch Schenkungen
Der Künstler und Musiker Benjamin Patterson im Jahre 1989. Foto: © Wolfgang Träger
Aber warum ausgerechnet Burghardt und Patterson, eher zwei Fußnoten dieser bewegten Zeit, nach vorne holen? „Unser Museum ist eng mit Fluxus verbunden, nicht allein mit der Pop Art“, meint Direktor Yilmaz Dziewior. Die beiden bekamen erst durch Hinzukäufe, unter anderem aus der Sammlung des einstigen Chefrestaurators des Ludwig Museum, Wolfgang Hahn, wieder Aufmerksamkeit. „Einige Arbeiten von Burghardt wurden 2009 von Deborah und Pamela Kagel der Kunststiftung am Museum Ludwig geschenkt. 2022 erwarben wir im Hinblick auf die Ausstellung eine Reihe von Arbeiten Pattersons.“ Interessant ist das Duo auch aufgrund der Erfahrungen von Diskriminierung in der alten Bundesrepublik. Für Burghardt war die in der Nachkriegsgesellschaft nicht seltene Leugnung der eigenen Täterschaft eine Belastung. Patterson erlebte Rassismus in der Ablehnung seiner Beziehung mit Pyla und auch als Vertreter der amerikanischen Alliierten.
Burghardts Fluxus-Zeit repräsentiert das Bühnenbild zu einem Beethoven-Film. Für die WDR-Produktion aus dem Jahr 1970 sollten fiktive Räume des Beethoven-Hauses gestaltet werden. Sie baute ein Wohnzimmer mit kleinbürgerlichen Möbeln, die sie mit Aluminiumblech verkleidete. Das silbrige Material überhöhte den Raum zu einer glanzvollen Welt, in der auch ein Männerhemd aus Aluminium zu finden ist. Darauf steht der Slogan der Firma Persil, ein Verweis auf die reinwaschenden Entlastungszeugnisse nach 1945. In den 1970ern verstummte ihre Stimme. Erst Anfang der 1980er Jahre kehrte sie mit figurativen Zeichnungen zurück.
Pattersons Rückzug dauerte zwei Jahrzehnte. 1963 ging er von Paris, wo er sich in den „Puzzle Poems“ mit Text und Bild in einigen Galerieausstellungen auseinandergesetzt hatte, nach New York zurück und arbeitete im klassischen Musikmanagement. 1985 verbündete er sich mit der Kölner Galerie Schüppenhauer und zeigte eine Performance, für die er Kölner, denen man die Augen verbunden und lärmende Dosen ans Fußgelenk gebunden hatte, durch die Straßen führte. Anders als die meisten Fluxus-Beteiligten, scheute er nicht Politik ins Spiel zu bringen. Zur Schwarzgeld-Affäre der CDU fiel ihm eine bissige Aktentaschen-Collage ein. Mit seinem Wandermuseum des Unbewussten gastierte er später in Namibia und Israel, beide Schlüsselorte deutscher Verbrechen.