Denkstoff ohne Ende
Was ist schon real? Und was Illusion? Oder hängt das nicht auch von der Perspektive ab? Von der Zeitebene? Und überhaupt von der Interpretation? Der Klärung dieser uralten Fragestellung kann man sich auf rein wissenschaftlichem Wege nähern, das wird leicht fad – oder künstlerisch und zugleich auf der Basis wissenschaftlicher Forschung. Wenn man so will, ist das eines der offenen Betriebsgeheimnisse des Künstlerkollektivs Troika.
Der Name deutet es an, hier ist ein Trio am Werk, das 2003 beim Kunststudium in London zusammengefunden hat und bis heute alles gemeinsam plant und umsetzt. Ob durch Malerei, Skulpturen, Filme oder raumgreifende Installationen. Für die beiden Deutschen Eva Rucki und Conny Freyer sowie den Franzosen Sebastian Noel ist der Gegensatz zwischen analogen und digitalen Realitäten längst marginal geworden. Man könne sie sowieso nicht mehr unterscheiden, sind sie der Meinung. Einige Jahre bevor andere Künstlerinnen und Künstler die digitalen Wirklichkeiten für sich zu erkunden begannen, haben Troika damit ganz selbstverständlich experimentiert.
Dahinter steckt ein tiefes Interesse am Bauplan der Dinge und der wahrnehmbaren Welt an sich, und manchmal fast mehr noch an unsichtbaren Vorgängen, die das Dasein bestimmen. Umfassende Recherchen im Bereich der Technikgeschichte und der Naturphilosophie gehören für Troika selbstredend dazu. Das führt dann zu Installationen wie „Anima Atman“: Aus einer öden Landschaft aus Siliziumsteinen wachsen Disteln, die sich wie in Zeitlupe bewegen. Pflanzen „wissen“ sich an ihre Umgebung anzupassen, und gerade Disteln überleben fast überall. Selbst auf Brachen, die durch den Abbau von Silizium für Chips und Akkus entstanden sind.
Die drei Mitglieder des Künstlerkollektivs Troika: Eva Rucki, Conny Freyer und Sebastian Noel. Foto: Studio Troika, 2022
Der Bauplan der Dinge
Um die schöne neue Welt der Computer geht es auch in der Werkserie „Obsolete Landscapes“, die Fragmente von Desktop-Hintergründen des Technik-Giganten Apple zeigt. Fragmente, weil nur der Himmel übrig geblieben ist, die attraktiven Bergketten oder Trauminseln haben Troika kurzerhand gelöscht. Keine Landschaft ist mehr unberührt, warum sich also ständig eine Postkarten-Idylle vorgaukeln? Im Caspar-David-Friedrich-Jahr sind kaum frappantere Kommentare zur Fiktion einer Ideallandschaft zu finden, einer unberührten schon gar nicht. Das beschert der Langen Foundation in Neuss begeisterte Besucher, seit Anfang September fügen sich die Werke von Troika geradezu perfekt in das von Tadao Ando geplante Ausstellungsgebäude ein – von wandelbaren geometrischen Figuren bis hin zu beklemmend ästhetischen Serveraufnahmen von Naturkatastrophen. „PINK NOISE“ lautet der Titel der Ausstellung, die noch bis 16. März 2025 zu sehen ist.
Troika schafft aber auch großformatige Wandobjekte, die aus lauter Würfeln bestehen und auf der ART COLOGNE am Stand der Galerie max goelitz zu sehen sein werden. „Reality is Not Always Probable“ lautet der Titel dieser Werkfolge, die Troika seit 2018 immer wieder neu variiert. Was wie reich ornamentierte Tapisserien oder Stickbilder anmutet, haben Algorithmen entworfen. Vorgegeben ist nur die erste Reihe, sozusagen als Basis, und anhand genauer Vorgaben besorgt der Rechner den Rest. So entstehen unvorhersehbare Kompositionen, jedes Ergebnis ist eine Überraschung – der Würfel als Pixel oder Bildzelle kommt jedenfalls nicht von ungefähr.
Die Arbeit „In a Forest of Red, Green and Blue (Aktaion)” von Troika aus dem Jahr 2023. Courtesy of max goelitz; Copyright the artists; Foto: Dirk Tacke
Kollaborative Ansätze
Max Goelitz, der seine gleichnamige Galerie 2020 in den Münchner Räumen von Häusler Contemporary gegründet hat, unterstützt Kunstschaffende, die sich klar positionieren. Der 2022 zusätzlich eröffnete Berliner Standort bietet ideale Voraussetzungen für umfassende Statement-Präsentationen. Zugleich verfolgt der 39-Jährige aus Augsburg einen kollaborativen Ansatz, wie er betont. Für die ART COLOGNE hat er im Rahmen des Collaborations-Programms ein Raumkonzept entwickelt, in dem Werke der Gruppe Troika mit den skulpturalen Arbeiten von Nicolás Lamas in einen Dialog treten.
Lamas ist eine Art Archäologe, der allerdings kühn genug ist, alte Gefäße mit Teilen aus der Automechanik zu konfrontieren. Oder einen antiken Torso – den viel reproduzierten Kopf des Laokoon etwa – auf einen abgewrackten Xerox-Kopierer zu legen. In seinen Assemblagen kombiniert der 1980 in Lima geborene Künstler vornehmlich Relikte. Ein alter Industriekühlschrank („Posthuman ecologies“, 2023) wird dann zum Aufbewahrungsort für ausgemusterte Gegenstände des menschlichen Alltags sowie Organisches aus der Natur – Knochen, Korallen und Wespennester zum Beispiel. Lamas geht es in seinen heterogenen, durchaus bizarren Ordnungssystemen um das Verhältnis von menschlichen und nicht-menschlichen Objekten, das häufig von Machtstrukturen bestimmt ist. Wer sich als Krone der Schöpfung betrachtet, wird leicht übermütig und der sogenannte Fortschritt zum Dilemma.
Bei Lamas ist es der Blick in die Vergangenheit, aus der sich eine Vision für die Zukunft bilden könnte. Bei Troika das Spiel mit der Digitalität und ihren fließenden Übergängen zum Analogen. Beide pflegen dabei eine alternative Sicht auf die Realität und liefern damit Denkstoff ohne Ende.
Autorin: Christa Sigg