Die Freiheit der Abstraktion
Zwei wunderbare kleine Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) ziehen am Stand der Galerie Henze & Ketterer auf der ART COLOGNE alle Blicke auf sich. Betitelt mit „Akte im Wald“ entstanden sie in den Jahren 1933/34 und zeigen den neuen Stil, zu dem der große Expressionist und Mitbegründer der Künstlergruppe Brücke ab Mitte der 1920er Jahre gefunden hatte. Streng reduziert in Form und Farbe, im fließenden Übergang von der Figuration zur Abstraktion, künden sie von Kirchners formaler Nähe zu der nur zwei Jahre zuvor in Paris gegründeten Gruppe „Abstraction-Création“, die eine Malerei aus Farbfeldern und Volumina anstrebte.
Ernst Ludwig Kirchner ist so etwas wie ihr Hausheiliger
Seit 1946 engagiert sich die Galerie Henze & Ketterer für den deutschen Expressionismus, Ernst Ludwig Kirchner ist so etwas wie ihr Hausheiliger. Die Galerie verwaltet den Nachlass und das Archiv dieses Ausnahmekünstlers, das ihm gewidmete spektakuläre Museum in Davos gäbe es ohne die Großzügigkeit des Galeriegründers Roman Norbert Ketterer (1911-2002) und seiner Frau Rosemarie nicht.
Nach den erschütternden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs hatte Ketterer, der zuvor eine Firma für Spezialöle geleitet hatte, das Stuttgarter Kunstkabinett gegründet, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den von den Nazis verfemten Expressionismus wieder ins Bewusstsein zu rücken. Vor allem mit Hilfe von Auktionen gelang es ihm, wichtige Werke wieder in Museen und Privatsammlungen (Heinrich von Thyssen, Bernhard Sprengel, Lothar Günther Buchheim) würdig zu platzieren.
Mit Alexandra Henze ist mittlerweile die dritte Generation an Bord
Ernst Ludwig Kirchner, Spielende Badende, 1928, Öl auf Leinwand. Courtesy Galerie Henze & Ketterer Wichtrach/Bern und Riehen/Basel
Die nachfolgende Generation, Ketterers Tochter Ingeborg Henze-Ketterer und ihr Mann, der Kunsthistoriker Wolfgang Henze, knüpften an dieses Wirken bruchlos an.
In Campione d’Italia gründeten sie 1970 einen eigenen Kunsthandel, der sich neben der Druckgrafik des Expressionismus auch der Abstraktion der 1950er Jahre und jüngeren Künstlern zuwandte. 1993 zog ihre Galerie in die Schweiz nach Wichtrach/Bern, später eröffnete noch eine zweite Dependance in Riehen/Basel in unmittelbarer Nähe der Fondation Beyeler.
Mit Alexandra Henze, einer ausgewiesenen Kirchner-Kennerin, ist mittlerweile die dritte Generation an Bord, die das Familienunternehmen fortführt. Mit seiner Betreuung von Künstler-Nachlässen und Archiven zu künstlerischen Gesamtwerken hat sich die Galerie Henze & Ketterer international eine hohe wissenschaftliche Reputation erworben, die in zahlreichen Ausstellungen, Publikationen, Zertifizierungen und Tagungen zum Ausdruck kommt.
Zu den Künstlern, deren Werk bei Henze & Ketterer in den besten Händen ist, gehört auch Fritz Winter (1905-1976). Der Sohn eines Bergarbeiters studierte am Bauhaus und fand dort bei Kandinsky, Klee und Schlemmer zur Abstraktion, bevor er in der NS-Zeit mit Malverbot belegt wurde und später eingezogen wurde. Nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft avancierte er bald zu einem der führenden abstrakten Künstler der Nachkriegszeit, der auch internationale Anerkennung fand.
Nach Köln reist in diesem Jahr eine Arbeit aus seinen abstrakten Anfängen, in der schon sein großes Potential aufblitzt. Gezeigt wird sie im Rahmen der von Wolfgang Henze zusammengestellten Kabinettschau unter dem Titel „Weltkunst für Frieden & Freiheit“ am Stand der Galerie Ketterer & Henze (C-119 in Halle 11.1).
Die klug kuratierte Zusammenstellung schlägt einen Bogen von der Abstraction-Création 1930 bis zur abstrakten Weltsprache 1960, dem Zeitpunkt, an dem sich die Abstraktion mit ihrem unbändigen Freiheitsdrang als führender Malstil der westlichen Welt durchgesetzt hatte. Neben Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Winter sind sechs weitere Künstler vertreten: Francis Bott, Günther Gumpert, Bernard Schultze, Fred Thieler, Hann Trier und Theodor Werner, von dem eines der Hauptwerke seiner Pariser Jahre, die „Figuren“ von 1934, zu erwerben sind.
Fritz Winter, Ohne Titel, 1932, Öl auf Velin. Courtesy Galerie Henze & Ketterer Wichtrach/Bern und Riehen/Basel
Empfehlenswert ist auch ein Besuch im Online Viewing Room der Galerie
Auf anschauliche Weise erzählt diese Präsentation musealer Qualität anhand einiger prägnanter Fallbeispiele von den dramatischen Zäsuren Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa und ihren Auswirkungen auf das künstlerische Schaffen. Zugleich ist diese kleine Messe-Schau ein Menetekel für die immer wieder neu zu verteidigende Freiheit der Kunst. Empfehlenswert ist auch ein Besuch im Online Viewing Room der Galerie, wo Wolfgang Henze seine profunden Kenntnisse über die verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten tiefgründig vermittelt.