Köln 06.–09.11.2025 #artcologne2025

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Ein Pavillon vielfältiger Positionen

Der Dortmunder Kunstverein macht vieles richtig und wurde dafür 2023 mit dem ADKV-ART COLOGNE Preis für Kunstvereine geehrt.

Außenansicht des Dortmunder Kunstvereins

Ein Ort, der die Stadt zum Leuchten bringt: Die Eröffnungsschau von Hoda Tawakol im neuen Domizil des Dortmunder Kunstvereins. Foto: Roland Baege

In diesem Herbst feiert der Dortmunder Kunstverein seinen 40. Geburtstag. Er zählt damit zu den jüngeren der rund 300 Kunstvereine, die sich in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) organisiert haben. Ins Leben gerufen wurde er von Dortmunder Bürgern, die „hungrig nach zeitgenössischer Kunst waren“. So beschreibt es Rebekka Seubert, die seit März 2020 die künstlerische Leitung des Vereins innehat. „Die Gründer damals in den 1980er Jahren wollten mitreden können und auch in ihrer Stadt die aktuellsten Positionen der Kunstszene präsentieren wie zum Beispiel Hanne Darboven oder Joseph Beuys.“

Eine Art vorzeitiges Geburtstagsgeschenk erhielt der Verein bereits im vergangenen Jahr: Da wurde mit dem ADKV-ART COLOGNE-Preis für Kunstvereine ausgezeichnet – für sein besonders innovatives Programm und die kreative Vermittlungsarbeit. Diese Auszeichnung ermöglicht es dem Dortmunder Kunstverein nun auf der diesjährigen ART COLOGNE mit einem eigenen Stand präsent zu sein und so diese wichtige Facette des kulturellen Lebens in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu vertreten. Denn das bürgerliche Engagement in den vielen Kunstvereinen hierzulande ist etwas global ziemlich Einzigartiges und wird seit 2021 als immaterielles UNESCO Kulturerbe geführt.

Daniel Hug übergibt Rebekka Seubert den ADKV-ART COLOGNE-Preis.

ART COLOGNE-Direktor Daniel Hug übergibt Rebekka Seubert, der Künstlerischen Leiterin des Dortmunder Kunstvereins, 2023 den ADKV-ART COLOGNE-Preis für Kunstvereine. Foto: Roland Baege

Ein weiterer Schritt nach vorn

Zum innovativen Programm des Dortmunder Kunstvereins gehört es u.a. Gruppen, die in der Gesellschaft nur unzureichend repräsentiert werden, „zu mehr Sichtbarkeit im Diskurs zu verhelfen“, wie Rebekka Seubert erläutert: „Die Vielfalt der Positionen erlaubt heute keine eindeutigen Zuschreibungen mehr. Das wollen wir abbilden.“ In der jüngst zu Ende gegangenen, von Seubert kuratierten Ausstellung „Jalousies“ des französischen Videokünstlers Brice Dellsperger waren etwa Kurzfilme zu sehen, in denen Dellsperger ikonische Filmszenen mit veränderten Geschlechteridentitäten unter Low-Budget-Bedingungen nachstellt. Queeres Kino trifft hier auf Camp-Ästhetik und stellt sowohl die Konventionen des Kinos als auch der Gesellschaft ironisch in Frage. Ergänzt werden diese Filmsequenzen durch zwei neu entstandene Videoarbeiten Dellspergers. „Wir verstehen uns nicht nur als reiner Ausstellungsort,“ sagt Rebekka Seubert. „Uns ist es wichtig, mit den Künstlern eng zusammenzuarbeiten und ihnen auch Mittel für eine Neuproduktion speziell für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Sie sollen bei uns möglichst einen weiteren Schritt in ihrem Werk machen.“

Für eine seiner beiden neuen Arbeiten drehte Dellsperger auch in den Räumen des Dortmunder Kunstvereins. Wahrscheinlich war er von ihnen genauso überwältigt, wie die meisten Besucher, die hier das erste Mal herkommen. Im März 2023 ist der Verein in den ehemaligen Showroom einer Krankenversicherung gezogen, der sich durch extrem hohe Wände, eine skulpturale Treppe und große Glasfronten zur Straße hin auszeichnet. Fast schon museal wirkt dieser entkernte Riesenraum und befindet sich zudem in unmittelbarer Nähe zum Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität, einem der kulturellen Hotspots der Stadt. „Man hat hier so ein Pavillon-Gefühl“, schwärmt Rebekka Seubert. „Außerdem fand ich das Konzept ‚ein Raum, eine Ausstellung‘ schon immer sehr reizvoll.“

Eröffnet wurden die neuen Räumlichkeiten mit „Silent Voices in a Palm Grove“, der ersten institutionellen Einzelausstellung der französisch-ägyptischen Künstlerin Hoda Tawakol in Deutschland. Ihre großformatigen Textilskulpturen, die die Macht des Blicks thematisieren – etwa als Entscheidungsinstrument über Zugang und Ausschluss –verwandelten den Ort in einen surrealen, vor Blicken von außen geschützten Palmenhain. Einen „Ort außerhalb der Welt“, wie ihn Kunst im besten Fall zu schaffen imstande ist.

Ausstellungsansicht Brice Dellsperger im Dortmunder Kunstverein

Ein Highlight in diesem Jahr war die Ausstellung „Jalousies“ des französischen Videokünstlers Brice Dellsperger. Brice Dellsperger, Body Double 39; Courtesy the artist Air de Paris, VG BildKunst, Foto Jens Franke

150 Jahre afrodeutsche Geschichte

Neben dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck der Ausstellung ist Rebekka Seubert auch die Vermittlungsarbeit sehr wichtig, die der Kunstverein vor allem durch Publikationen oder wissenschaftliche Vorträge, aber auch durch Filmvorführungen oder Partys betreibt. So gab es zur Ausstellung von Hoda Tawakol etwa einen Themenabend über „Haarpolitik“, in dem der Blick auf das Haar der Frau historisch und kulturell beleuchtet wurde. Und mit der von der Künstlerin Zoe Williams geschaffenen Liquid Currency Bar gibt es seit Sommer 2022 einen temporären Ort nicht nur für den Barbetrieb, sondern auch für Performances oder Konzerte.

Zu den bisher erfolgreichsten Ausstellungen unter der künstlerischen Leitung Seuberts gehörte die Ausstellung von James Gregory Atkinson vor knapp drei Jahren. In „6 Friedberg-Chicago“ spannte der deutsch-amerikanische Künstler einen Bogen von seiner eigenen persönlichen Geschichte als Sohn eines im hessischen Friedberg stationierten schwarzen US-Soldaten zu rund 150 Jahren afrodeutscher Geschichte, die mit akribischen historischen Recherchen und einer filmischen Annäherung auch in ihren rassistischen Strukturen erfahrbar gemacht wurde. Einmal mehr präsentierte sich hier der Kunstverein als Ort des Austauschs und der gesellschaftlichen Verständigung, dessen Blick weit über den Dortmunder und deutschen Tellerrand hinausgeht.

Autor/in: Sandra Prechtel