Einladung zum Perspektivwechsel
Der Galerist Moiz Zilberman. © Kayhan Kaygusuz+ü
Ein mit Blut beschmiertes Bettlaken, eine Puppe mit Schleier und blutigem Hochzeitskleid.
Das war 2014.
Die Galerie Zilberman stellte die Werke Şükran Morals, der wohl radikalsten Künstlerin der Türkei, zum ersten Mal in dem von Erdoğans Zensurpolitik beherrschten Land aus.
Die Künstlerin reagierte mit ihren Arbeiten auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass Sex mit Zwölf- bis 15-Jährigen nicht mehr automatisch als Kindesmissbrauch gelte. „Welcome to Turkey“ hieß die Ausstellung.
Heba Y. Amins „Atom Elegy“ von 2022. © Zilberman, Istanbul/Berlin
Die Galerie von Moiz Zilberman, die internationale Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart präsentiert, ist eine von drei Galerien der Metropole Istanbul, die auf der diesjährigen ART COLOGNE vertreten sind.
Zilberman schlägt eine Brücke zwischen der Türkei und Deutschland: 2008 gründete er seine Galerie in Istanbul, acht Jahre später den zweiten Standort in Berlin. Die beiden Städte seien sehr unterschiedlich, auch hinsichtlich der Begrenztheit der türkischen Kunstinstitutionen und der staatlichen Unterstützung.
Moiz Zilberman
Kritische Stimmen nehmen das aktuelle Weltgeschehen in den Fokus
Sim Chi Yins „Stanley R Mickelsen Safeguard Complex, North Dakota“ aus der Serie „Most People Were Silent“ (2017). © Zilberman, Istanbul/Berlin
Das Programm der Galerie umfasst mehrere kritische Künstlerinnen und Künstler mit einer soziopolitischen Linie, wenn auch nicht alle so radikal wie Şükran Moral.
In Köln richtet die Galerie ihren Fokus unter anderem auf die Atomexperimente und die weitreichenden Auswirkungen des radioaktiven Niederschlags. Zilberman zeigt die Installation „Atom Elegy“ (2022) der ägyptischen Künstlerin Heba Y. Amin und Sim Chi Yis Pigmentdrucke „Most People Were Silent“ (2017), für die die malaiische Künstlerin eine Serie von Diptychen nuklearer Landschaften an der Grenze zwischen Nordkorea und China sowie in den Vereinigten Staaten schuf.
Gesellschaftliche Normen auf dem Prüfstand
Ausstellungsansicht mit Renée Levis „Désirée 5“, „Désirée 6“ und „Désirée 7“ (2022). © Öktem Aykut, Istanbul
Vertreten auf der ART COLOGNE ist auch die Galerie Öktem Aykut, die im Sektor Collaborations gemeinsam mit der Schweizer Galerie Philipp Zollinger ausstellt.
Die 2014 von Doğa Öktem und Tankut Aykut gegründete Galerie arbeitet mit türkischen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern zusammen, die einen gemeinsamen kritischen Ansatz gegenüber den zeitgenössischen gesellschaftlichen Bedingungen verfolgen. Nach einer Duo-Ausstellung mit Werken von Renée Levi und Janiv Oron in Istanbul und der noch bis zum 5. November laufenden Solo-Ausstellung „Désirée“ von Renée Levi zeigt die Galerie nun auch im Rahmen der Messe eine Einzelpräsentation mit Werken der 1960 in Istanbul geborenen und im Aargau aufgewachsenen Künstlerin.
Galerie Dirimart zeigt internationale Positionen
Ayşe Erkmens „Section X“ von 2010. © Dirimart, Istanbul
Das Programm der 2002 von Hazer Özil in Istanbul gegründeten Galerie Dirimart umfasst Künstlerinnen und Künstlern aus der Türkei, aber auch deutsche und internationale Größen wie Karin Kneffel, Shirin Neshat und Hermann Nitsch.
Zur ART COLOGNE reist die zeitgenössische Galerie mit Werken von Ayşe Erkmen, Nasan Tur sowie des Künstlerduos Özlem Günyol und Mustafa Kunt an.
Der 1974 in Offenbach geborene Nasan Tur lädt zur Selbstreflexion: Die Formen seiner Spiegelarbeiten „Eurofighter“ (2021) basieren auf dem Design von Papierkampfflugzeugen. Spiegelnde Oberflächen werden so angeordnet, dass die Betrachtenden mehrerer Versionen ihrer Wahrnehmung ausgesetzt sind. Mit den Faltspielen hinterfragt der Künstler die Rollen, die Kindern von klein auf zugeschrieben werden und die Konstruktion einer unbewussten Vorbereitung auf Krieg und Gewalt.
Eine Einladung zum Perspektivwechsel.
Text: Lisa-Marie Berndt