Hochkarätige Sonderschauen
Eine gemusterte Fototapete überspannt die gesamte Wandfläche, aus der Objekte und Figuren dreidimensional in den Raum wachsen. Wahrnehmen kann man sie aber nur, wenn man eine 3-D-Brille trägt. Dann rücken sie einem so nahe, als könne man sie mit den Fingern berühren. Im Muster der Tapete sind noch weitere Arbeiten des Künstlers Tim Berresheim zu finden – aus seiner Werkreihe „Early Bird“ von 2018. Sie nehmen den visuellen Faden der Tapete auf und lassen sich mit Hilfe einer App intensiver erkunden. Ein Early Bird ist auch Berresheim selbst. Seit über zwanzig Jahren nutzt er digitale Instrumente für seine Bildfindungen und ist damit hierzulande einer der Pioniere computerbasierter Kunst.
Berresheim wird in diesem Jahr den Blickfang der Sonderschau der LBBW-Kunstsammlung auf der ART COLOGNE bilden. Die Sammlung der Landesbank Baden-Württemberg besteht seit über 50 Jahren und umfasst mittlerweile rund 3000 Werke, die durch Ankäufe beständig vermehrt werden. Ein besonderes Anliegen der LBBW ist es, ihre Sammlung sichtbar zu machen, in Dialog mit dem Publikum zu treten. Nicht nur in der Stuttgarter Unternehmenszentrale, sondern auch in Kooperationen etwa mit dem Kunstmuseum Stuttgart und der Kunsthalle Mannheim. Auch für die ART COLOGNE ist die LBBW ein bewährter Partner. Mit ihrer von Birgit Wiesenhütter kuratierten Präsentation bespielt sie einen 240 qm großen Stand in der Halle 11.2, wo 16 künstlerischen Positionen gezeigt werden.
Tim Berresheim ist ein Pionier der digitalen Kunst in Deutschland. Seine Arbeit „Early Bird I”(robographic) wird auf der LBBW-Sonderschau präsentiert. Foto: LBBW
Eigenwilliger ästhetischer Zauber
„Transitions“ lautet der Titel dieser Sonderschau, die anhand von Übergängen zwischen künstlerischen Medien und Gattungen, aber auch formalen und inhaltlichen Übergängen in Raum, Zeit, Gesellschaft und Kultur die Bandbreite der Sammlung widerspiegelt. So formt Thomas Schütte in seiner frühen Arbeit „Replica I” (1977/87) eine Mauer aus abstrakt bemalten Täfelchen, die mit einer türähnlichen Aussparung zugleich Durchgang zu gewähren scheint. Zusammen mit dem Aquarell „Mann im Matsch“ arbeitet sich das bildnerische Ensemble an seinem damaligen Lehrer Gerhard Richter ab und leitet Schüttes Übergang vom Maler zum Bildhauer ein. Alexandra Bircken installiert ein zersägtes Schaukelpferd über einer Ecke, dessen Fell durch Menschenhaar ersetzt wurde. In seiner Deformation entfaltet es eine unheimliche Wirkung, während der anspielungsreiche Titel „The center will not hold“ viele, auch politische Assoziationen freisetzt. Wie fragil unsere Welt ist, wie schnell sie in Lava und Asche versinken kann, demonstriert eine Sonderschau von Hans-Georg Esch, kurz: HGEsch, am Eingang Süd der ART COLOGNE. Der renommierte Architekturfotograf hat dort mit seinem Team eine immersiv angelegte Rotunde errichtet, die ein 360-Grad-Panorama des heutigen Pompeji zeigt. Kaum ein Ort der Welt ist archäologisch so gut dokumentiert wie die über 2500 Jahre alte Siedlung am Fuße des Vesuvs, die im Jahr 79 n. Chr. durch einen verheerenden Vulkanausbruch zerstört wurde. Auf Einladung des Parco Archeologico hat sich Esch der Region mit seinem „architektonischen Blick“ genähert. Spektakuläre Drohnenaufnahmen offenbaren bislang ungesehene Strukturen, die Parallelen zwischen römischer und moderner Stadtplanung erkennen lassen. Die ungewohnte Perspektive legt Muster frei, deren eigenwilligem ästhetischen Zauber man sich nur schwer entziehen kann. Andere Bilder, oft in Langzeitbelichtungen entstanden, rücken besonders nah heran, schwelgen im verwitterten Material und dem Spiel von Licht und Schatten. Nahezu futuristisch schrauben sich die freistehenden Säulenstümpfe in den Himmel, während sich das ovale Amphitheater aus Nebelschwaden herauszulösen scheint. Auf diese Weise entsteht ein neuer Blick auf die alte Stadt, den HGEsch vor dem Hintergrund des modernen Neapel in Szene setzt. So verschränkt er gekonnt die Zeitebenen von Vergangenheit und Gegenwart, der Ort der Katastrophe symbolisiert bei ihm keinen Ausnahmezustand, sondern Kontinuität.
Eine der spektakulären Luftaufnahmen des Pompeij-Projekts von HGEsch. Foto: HGEsch
Big Data für die Provenienzforschung
Eine dritte Sonderschau, organisiert vom Kölner Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung (ZADIK), widmet sich dem Hamburger Auktionshaus Hauswedell & Nolte, das 2015 seinen Betrieb eingestellt hat.
Ursprünglich aus einem 1927 vom Verleger Dr. Ernst Hauswedell gegründeten Buch-Club hervorgegangen, wurde Hauswedell & Nolte nach 1945 eine wichtige Adresse des deutschen Kunsthandels, speziell für Werke des deutschen Expressionismus. Aber auch Bücher und Autographen, Alte Meister, Kunst der Moderne, zeitgenössische Kundt sowie außereuropäische Kunst- und Kulturgüter kamen in den insgesamt 466 Auktionen zum Aufruf. Rekorde erzielte das Auktionshaus etwa mit dem „Lüsterweibchen“ von Tilman Riemenschneider – die Skulptur war 1985 das erste Kunstwerk in Deutschland, das einen Zuschlag über einer Million Mark in einer deutschen Nachkriegsauktion erreichte.
Heute gehören die Dokumente von Hauswedell & Nolte als sogenannter Bestand „A100“ zum ZADIK. Sie bilden nicht nur das mengenmäßig größte Unterarchiv, sondern sind auch das am stärksten konsultierte. Vor allem dem früheren Leiter des ZADIK Günther Herzog ist es zu verdanken, dass dieser Schatz geborgen wurde und heute in digitalisierter Form wissenschaftlichen Zwecken zur Verfügung steht. Die aufbereiteten Auktionsdaten liefern wichtige Erkenntnisse für die Kunstmarkt- und Provenienzforschung, berichtet die aktuelle ZADIK-Leiterin Prof. Dr. Nadine Oberste-Hetbleck, insbesondre was die Entwicklung der Preise anbetrifft. Vor Ort im ZADIK sowie auf der Messe lässt sich nun anhand von Einlieferungsbüchern, Auktionsprotokollen und Kundenkarteien der Weg der Kunst anschaulich nachverfolgen. Und sogar der Auktionshammer wird noch ein letztes Mal geschwungen. Denn das ZADIK gibt in der Halle 11.1 nicht nur Einblick in seine aktuelle Ausstellung, sondern veranstaltet auch eine Versteigerung von exklusiven Kulturerlebnissen zugunsten des ZADIK e.V. – am 9. November um 14 Uhr in der ART COLOGNE TALKS LOUNGE.
Autor/in: Julia Stellmann