Schöner als eine Aktienliste von der Bank
Das Sammeln wurde dem Schweizer Verleger Michael Ringier in die Wiege gelegt, allerdings nicht das Sammeln zeitgenössischer Kunst. Aufgewachsen in einem kulturell geprägten Umfeld, waren die Passionen seiner Eltern französische Möbel aus dem 18. Jahrhundert und Porzellan aus Meißen, von denen sie herrliche Stücke zusammentrugen. Über seine Frau fand Michael Ringier dann in jungen Jahren zur Kunst der russischen Konstruktivisten und bewegte sich fortan auf der Zeitachse kontinuierlich in Richtung Gegenwart.
Anfang der Neunzigerjahre stellte seine Frau die ketzerische Frage: „Wo sollen wir das alles aufhängen?“, was nicht etwa zur Selbstbescheidung führte, sondern zur Ausweitung der Sammeltätigkeit, die nun auch den von Ringier geführten Verlag miteinbezog. Da hierfür professionelle, systematische Expertise gefragt war, beauftragte Michael Ringier 1995 die Kuratorin Beatrix Ruf mit der Betreuung der Sammlung. Der Fokus wurde jetzt auf jüngere Kunst gelegt, mit der Idee, dass man die Künstlerinnen und Künstler in ihrer Karriere begleiten würde. Von den Künstler:innen, die man für besonders wichtig hielt, versuchte man besonders viele Werke zu erwerben.
Rückblickend beschrieb Michael Ringier in einem Interview seine Entwicklung vom Liebhaber zum Sammler so: „Je intensiver ich darüber nachdachte, desto mehr sagte ich mir: Eigentlich passt das doch wunderbar zusammen, Kunst und Journalismus. Das sind für mich Verwandte: Bei beiden geht es um die Gesellschaft und die Beschreibung dieser Gesellschaft, um Probleme, die zu lösen sind, und um Fragen, die beantwortet werden müssen.“

Die Kuratoren Wade Guyton und Beatrix Ruf mit dem Sammler Michael Ringier (von links nach rechts) Foto: Susanne Diesner
Sammeln in die Tiefe
Im Laufe der Jahrzehnte kam auf diese Weise eine beeindruckende Sammlung Zeitgenössischer Kunst zustande, die inzwischen rund 5000 Arbeiten umfasst. Zu sehen sind davon bisher nur jeweils kleinere Teile, etwa am Verlagssitz in Zürich etwa oder in Ringiers Villa am Zürichsee. Über eine eigene Kunsthalle oder gar ein eigenes Museum verfügt die Sammung nicht. Umso erfreulicher ist es, dass sie nun einmal im größeren Umfang präsentiert wird – und zwar im Rheinland, in der Langen Foundation in Neuss unter dem Titel „Zeichnung, Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, Video, Sound. Sammlung Ringier 1995 – 2025“.
Die Langen Foundation, dieses Sammlermuseum auf Zeit, das 2004 auf dem Gelände der ehemaligen Raketenstation Hombroich eröffnet wurde, eignet sich für eine solch umfassende Bestandsaufnahme hervorragend. Es erlaubt der Kuratorin Beatrix Ruf und dem Künstler sowie Kurator Wade Guyton, eine größtmögliche Freiheit bei der Auswahl und Präsentation der Schätze der Sammlung.
Davon machen sie ausführlich Gebrauch und zeigen gleich mehrere Werkgruppen, etwa von Peter Doig, Fischli / Weiss, Mike Kelley, Sarah Lucas, Seth Price, Richard Prince, Cindy Sherman, Josh Smith, Paul Thek oder Rosemarie Trockel, die von Ringiers Idee der kontinuierlichen Begleitung bzw. des „Sammelns in die Tiefe“ zeugen. Der Rundgang durch die großzügigen Räume des Tadao-Ando-Baus ist teilweise so dicht mit Werken gefüllt, dass der Verzicht auf ergänzende Wandinformationen geradezu naheliegend erscheint. Ein kostenloses Booklet sorgt stattdessen für Orientierung.

Installationsansicht der Sammlung Ringier, Langen Foundation, Neuss, 2025 Foto: Dirk Tacke
Fotografie und textbasierte Arbeiten
Auffällig ist, welchen Stellenwert neben den klassischen Kategorien der gegenständlichen Malerei und Skulptur (u.a. mit einer hinreißenden Glasarbeit von Isa Genzken) die Fotografie und textbasierte Arbeiten in der Sammlung Ringier spielen. So ist von dem 2020 verstorbenen US-Konzeptkünstler John Baldessari eine exzeptionelle Arbeit („Examining Pictures“) zu sehen und auch die großen Namen der zeitgenössischen Fotokunst Andreas Gursky, Richard Prince, Thomas Ruff oder Wolfgang Tillmans sind mit raumgreifenden Motiven vertreten.
Aber auch fotografische Miniaturen, etwa von Lee Friedlander oder Mike Kelley, haben ihren Platz in der Sammlung gefunden. Im Erdgeschoss bespielt eine winzige Fotografie von Trisha Donnelly sogar einen eigenen Raum nur für sich und bietet so eine willkommene Atempause angesichts der explosiven Werkvielfalt um sie herum.
Für den kunstbegeisterten Verleger Michael Ringier, der selbst die Geschäftsberichte seines Unternehmens von Künstlerinnen und Künstlern gestalten lässt (und damit eine ganz eigene Kunstform kreierte), hat sich die Leidenschaft gelohnt. Der Wert der Sammlung hat sich durch den ungeheuren Boom des Kunstmarkts vervielfacht. Schon vor ein paar Jahren bezeichnete er in einem Interview seine Kunstkäufe auf lange Sicht „als eines der renditeträchtigsten Investments, die Ringier überhaupt getätigt hat.“ Zugleich erschwert der anhaltende Preisauftrieb das Sammeln auf dem gewohnt hohen Niveau. Ans Aufhören denkt er trotzdem nicht, wie eine Bemerkung bei der Eröffnung verriet: „Ich finde es schöner, dass hier an der Wand zu sehen, als eine Aktienliste von der Bank zu bekommen.“
Bis 5. Oktober, Langen Foundation , Neuss
Autor: Olaf Schlippe