Köln 06.–09.11.2025 #artcologne2025

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Wunde Wesen

Das Düsseldorfer K20 widmet dem großen Außenseiter Chaïm Soutine eine Retrospektive.

Bild „Häuser“ von Chaim Soutine

Von Bildern wie »Häuser« (1920/21) fürchtete Soutine, dass sie seinem Ruf schaden würden; courtesy K20, Düsseldorf

Wenn einer den Bruch mit seiner Familie riskiert, aus der tiefsten Provinz in die Kunstmetropole Paris geht, um Maler zu werden, dann muss er es ernst meinen mit der Kunst. So einer war Chaïm Soutine. 1893 in einem Schtetl nahe Minsk als Sohn eines Flickschusters geboren, verweigerte er sich dem Wunsch seines Vaters Rabbi zu werden und zog mit zwanzig Jahren an die Seine.

In Paris wohnte der Einzelgänger im Künstlerasyl »La Ruche«, litt unter seiner Armut und stürzte sich dennoch mitten hinein ins avantgardistische Geschehen. Statt beim Kubismus oder der Abstraktion mitzulaufen, hielt er am Figürlichen fest und wurde trotzdem wahrgenommen. Etwa von seinem Freund Amedeo Modigliani, der ihn nicht nur zum Trinken verführte, sondern auch seinem Kunsthändler Leopold Zborowski empfahl. Der schickte Soutine erstmal zur Kräftigung in den Süden Frankreichs, wo im kleinen Pyrenäenort Céret umwerfende Landschaften entstanden. Soutines gestisch-expressive Malweise ließ Häuser wie im Orkan wanken, verdrehte und verzerrte die Perspektive. Und dann die Farbe. Sie floss in Strömen über die Leinwand, mitunter direkt aus der Tube. Türkis, Veronesegrün, Weiß – vor allem Rot: Zinnober, Karmesin, Purpur, Rubin, Blutrot, Inkarnat.

Bild »Dorftrottel« von Chaim Soutine

»Dorftrottel«, verewigt im Jahr 1920; Adagp, Paris

In »Gegen den Strom«, der bis 14. Januar gezeigten Soutine-Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (K20) in Düsseldorf, sind es diese Bilder, die man gleich am Anfang zu sehen bekommt. Sie machen sprachlos. Ähnlich muss Albert C. Barnes, ein Sammler aus Philadelphia, empfunden haben, als er 1923 bei Zborowski gleich 52 Soutine-Werke erwarb, darunter den berühmten »Pâtissier« und auch einige der Céret-Motive.

Barnes’ Interesse erwies sich als Wendepunkt in Soutines Leben. Er stieg über Nacht zum Star der Pariser Kunstszene auf, kleidete sich in Maßanzüge, übernachtete in teuren Hotels und nahm selbstbewusste Posen an, wenn er fotografiert wurde. Einigen dieser Momentaufnahmen begegnet man in Lebensgröße in den Ausstellungsgängen. Man sollte sich von ihnen nicht täuschen lassen. Soutine blieb ein Getriebener, der sich in Ekstase malte und mit Pinseln gegen die Leinwand schmiss. Motivisch beharrte er stur auf damals überkommene Gattungen: Landschaften, Stillleben und Porträts. Und er konnte nur vor dem Motiv malen, brauchte seine physische Präsenz.

Das galt auch für die Porträts, die mitunter zu Torturen geraten konnten. Die Gesichter zeigte Soutine immer verbeult, mit schiefen Augen, wulstigen Lippen und unnatürlich großen Ohren. Am liebsten waren ihm Messdiener und Metzgerjungen, Kellner, Zimmermädchen und Hotelpagen in Uniformen.

Menschen gerieten bei Soutine nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs zu grotesk deformierten, traumatisierten Zeitgenossen, denen die Farbe bedrohlich über den Körper kroch.

Und dann wären da noch die gehenkten Truthähne und gerupften Geflügel. Knochen und Eingeweide. Wenn Soutine einen geschlachteten Ochsen in der Art von Rembrandt malen wollte, ließ er den Kadaver so lange im Atelier hängen, bis das verwesende, täglich mit frischem Blut überschüttete Fleisch die Gesundheitspolizei auf den Plan rief. Der Sonderling blieb ein chronisch Gequälter, seine Zerrissenheit springt einem aus jedem Bild entgegen.

Schon deshalb ist die Düsseldorfer Schau ein Ereignis. Es ist bemerkenswert, dass Soutine, der in Städten wie Paris, London oder New York regelmäßig große Ausstellungen hatte, in Deutschland vergleichsweise wenig bekannt ist. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen gehört zu den wenigen Häusern, die einen Soutine besitzen.

Mit seiner in allen Sinnen vibrierenden Malerei und den Metaphern für Armut und Ausgrenzung, der Verwundbarkeit jeglicher Kreatur war Soutine ziemlich singulär in Paris. Kuratorin Susanne Meyer-Büser lenkt deshalb den Blick immer wieder auf den Immigranten, den heimatlosen Aufsteiger, der seine Aufmerksamkeit solidarisch Menschen von der Straße schenkte. Und sie weist auf seine Rezeption hin: In der Nachkriegszeit stieg Soutine zum »Maler für Maler« auf, wurde verehrt von Francis Bacon und Willem de Kooning. Heute sind es Georg Baselitz, Marlene Dumas oder Anish Kapoor, die von seinem Vorbild zehren.

Soutine selbst wurde nur 50 Jahre alt. 1943 starb er an einem Magengeschwür. Zuvor musste er sich als Jude vor den Nazis verstecken und schaffte es deswegen nicht rechtzeitig in ein Pariser Krankenhaus.

Portrait von Chaim Soutine

Portrait Chaim Soutine; courtesy K20, Düsseldorf